Welt aus doppelten Böden

Wer sich für Literatur oder Filme interessiert, sollte einen Blick in Stanley Cavells Deutungen von Hollywood-Klassikern wie „Die Nacht vor der Hochzeit“, „Adams Rib“ oder „It Happened one Night“ werfen. Ähnlich wie in den Filmen bleibt auch bei deren Deutungen „kein Auge trocken". Verblüfft folgt man den akribischen und hochfliegenden Versuchen des Autors, in den Filmen eine philosophische Parallelwelt zu erkunden. Sein Ausgangspunkt ist griffig, nahezu banal. Einige Filme – der Philosoph nennt sie „Wiederverheiratungskomödien“ – zeigen, wie ein Paar aufgrund verschiedener Probleme die Alltäglichkeit seines Zusammenlebens infrage stellt, auflöst und neu begründet. Wie es den Konflikt nutzt, einander neu zu entdecken, um eine wahrhaftigere und bessere Partnerschaft zu entwickeln. Eine Art dialektischer Diskurs. Cavell nennt es nicht so, erkennt aber im Verhalten der Protagonisten philosophische Relevanz. Und zwar nicht einfach nur platt im Sinne einer Darstellung, wie Kommunikation produktiv funktionieren kann. Sondern darüber hinaus, wie sie ein Ideal befördern und Menschen glücklich machen kann. Die Filme bilden den Ausgangspunkt für die Erörterung verschiedener Philosophien, angefangen mit den Gedankengebäuden von Emerson, Locke und Mill.

Cavell schätzt die logischen Sprachtheoretiker wie Wittgenstein und Austin. Und zugleich die „idealistischen“ Jäger nach verborgenen Schätzen in uns selbst wie Emerson und Thoreau. Seine eigene Philosophie erscheint wie eine Mixtur aus akribischer Analyse und Theorien über die Möglichkeit, tiefe Sehnsüchte zu verwirklichen, auf umfassende Weise der Mensch zu sein, zu dem man bestimmt ist. Dies aber gleichzeitig in einer gerechten, diskutierenden Gesellschaft, für die man die eigenen Antriebe hinterfragt, für die man auf vernünftige Weise Kompromisse macht, dazulernt und über sich hinauswächst.

Dies versucht Cavell auch bei seiner Beschäftigung mit Filmen herauszuarbeiten – so weit, so gut und auch etwas banal. Gerade in Filmen wird ja gerne eine Art höhere Moral ins Auge gefasst. In jedem X-beliebigem Reißer, jeder durchschnittlichen Vorabendserie stößt man auf Motive wie: „Mensch stellt sich gegen die allgemeine Konvention, hat deshalb viele Nachteile, ist aber zum Schluss der wahre Sieger". Unentwegt führt Cavell solche und ähnliche Modelle vor Augen, die er aus den Streifen entnimmt. So what? Faszinierend sind seine mäandernden Gedankengänge weil sie immer wieder blitzartig Zusammenhänge erhüllen – ob in Bezug auf die Philosophie oder auf das „reale Leben“ – und trotz mancher unbefriedigender Passagen inspirieren. Mitunter erscheinen Cavells Worte wie ein Strom aus Gequatsche und subjektiver Deuteleien. Doch immer wieder schafft er es, den Strom in Form und zu einem interessanten Abschluss zu bringen. ´

Erstaunlich sind wie gesagt seine Interpretationen. Festhalten! Viele kennen und hassen das aus dem Deutschunterricht oder Germanistikseminar. Alles soll einen tieferen Sinn haben. Ob die Hauptfigur Eier mit Speck isst oder lieber die Fensterläden öffnet. Sie darf keine Bedürfnisse haben, ohne dass ungemein wichtige Botschaften darin erkennt werden, mit denen uns der Urheber angeblich die Welt und seine Ansichten über das Leben mitteilen will. Wie öde, aus einem Roman ein verkapptes Sachbuch machen zu wollen!

Stanley Cavells Interpretationen sind auf den ersten Blick extremer als jeder Deutschunterricht. Die Autoren der Filme können niemals all das im Sinn gehabt haben, was Cavell aufspürt, sondern wollten wahrscheinlich oft einfach nur den Plot vorantreiben. Doch darum geht es natürlich nicht. Stanley Cavell ist kein Deutschlehrer. Es geht nicht nur darum, was der Autor eines Buches, Filmes etc. zum Ausdruck bringen wollte. Genauso wichtig ist, dass er es tut. Er ist Werkzeug von Ideen und Wirklichkeiten, die ihm überhaupt nicht bewusst sein müssen…

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