Die schlimmsten Fragen

Immanuel Kant und Stanley Cavell berühren einige der schlimmsten Fragen, die Menschen sich selbst stellen können:

„Wie würde ich in jener Situation handeln?“

und

„Warum handle ich wie ich handle?“

Eine „gute“ Tat kann für den Handelnden schlimmer sein als eine „schlechte.“

Angenommen er hilft einem Kranken. Vielleicht bereitet er ihm nur deshalb eine Tasse Kamillentee, weil eine Belohnung sicher ist. Dann handelt er also in Wahrheit aus Habgier. Angenommen aber, er überlässt die Krankenpflege anderen, weil ihn der Patient nicht interessiert…womöglich sogar, obwohl er von der Belohnung weiß. Dann hat der Handelnde für sich „reiner“ entschieden. Zumindest nicht verlogen.


Es gibt eine weitere Schwierigkeit bei der Beurteilung des eigenen Handelns. Der Mensch handelt moralisch pflichtbewusst oft nur, weil er einer Konvention folgt. Nicht aus innerer Überzeugung. Am liebsten wäre es Kant, wir würden weder aufgrund eines Herdentriebes, noch aufgrund rein persönlicher Motive und Gefühle das Richtige tun. Nein, wir sollten aufgrund von Maximen handeln, die unsere Vernunft als notwendig erkannt hat. Etwa nach der Regel, dass unser Tun einer allgemeinen Richtschnur folgen muss. Indem wir uns zum Beispiel fragen: Wäre es richtig, wenn jeder auf dieselbe Weise handeln würde wie ich? Z.B. Kranken nur aus Habgier helfen?

Im Gegensatz zu den Utilitaristen interessieren Kant die Umstände einer Handlung – ihr Geist und Charakter – ebenso sehr wie ihre Wirkung. Ob ich dem Kranken aus wahrer Menschenliebe oder aus Habgier helfe, beschleunigt zwar in jedem Fall die Genesung. Im zweiten Fall wäre das Verhalten nach Kant jedoch moralphilosophisch wertlos. Und er geht noch viel weiter. „Gute“ Taten sind nicht bloß dann fragwürdig, wenn sie wegen eigennütziger Motive geschehen. Kant sieht es ebenfalls nicht gern, wenn sie aufgrund von Rührung, Mitgefühl oder anderen Stimmungslagen und Neigungen vollführt werden.

Nur die vernünftige Einsicht in die Notwendigkeit dient der Moral wirklich und macht sie von Willkür, Launen und Zufällen unabhängig.

Stanley Cavell wendet in „Cities of Words“ ein, dass kaum jemand einem Freund deshalb hilft, weil er oder sie zuvor über eine abstrakte Maxime nachgrübelte. Selbstverständlich leiten Emotionen und persönliche Motive das Engagement. Es deswegen als weniger „gut“ zu bezeichnen, sei im Grunde vermessen.

Tatsächlich unternimmt Kant ja aber auch nicht den Versuch einer psychologischen Bewertung, sondern einer philosophischen Grundlegung von Moral. Selbstverständlich handeln viele Menschen „gut“ und bewundernswert, ohne Kants Philosophie zu kennen. Diese aber versucht im Meer der Antriebe einen festen Halt für die Moral zu finden, der nicht von individuellen Erfahrungen abhängt. Sie versucht zu beantworten, wo der letzte Griff ist, an dem wir uns festhalten können. Anders gesagt: Wenn uns Zweifel überfluten und jeder alltägliche Halt weggespült wird durch die Naturgewalt der Gedanken – gibt es dann trotzdem einen Damm, der widersteht?

Von hier ist es nicht weit zur Frage, was die Identität eines Menschen ausmacht. Wie er sein Selbst ohne Täuschungen und Lüge entfalten kann. Immanuel Kant ist für Stanley Cavell eine mächtige Instanz bei der Suche nach einem „reinen“ Bewusstsein. Mit sich im Reinen sein. Wer die „Kritik der reinen Vernunft“ gelesen hat, kennt Kants inspirierenden Drang, keiner Selbsttäuschung aufzusitzen. In „Cities of Words“ geht es um mehr – darum, ein selbstbestimmtes und würdiges Leben zu führen. Wie der Weg dorthin aussehen kann, zeigen nach Cavells Meinung Filmklassiker aus Hollywood…

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